Joachim Faulstich „Heilendes Bewusstsein“
Im Oktober 06 erschien ein bemerkenswertes Buch von Joachim Faulstich: „Das heilende Bewusstsein“. Der Untertitel beschreibt die Situation: >Wunder und Hoffnung an den Grenzen der Medizin. Die Rolle des Bewusstseins wird in der heutigen Zeit zunehmend als relevant für den Heilungsprozess betrachtet. Das gilt nicht nur für die so genannte Alternativmedizin. Auch in der modernen wissenschaftsorientierten Medizin wird das Bewusstsein, die Einstellung des Patienten zu seiner Krankheit wichtiger genommen als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Dennoch gilt es nach wie vor als Zugabe, als untergeordneter Faktor. Faulstich zeigt in seinem Buch, dass diese Rolle zu gering angesetzt wird.
Schamanen aller Zeiten und Kulturen kannten die Bedeutung des Bewusstseins, die geistig-seelischen Grundlagen einer Krankheit und hatten damit den Schlüssel zur Heilung in der Hand. Das ist der eine Weg der Medizin. Der andere ist der der modernen Wissenschaft, der Grundlagen-, will sagen: Substanzforschung. Diese sah lange Zeit nur das als real – und somit in der Medizin als wirksam an, was sich messen, ansehen und im Versuch beweisen lässt. Diese Haltung wurde allerdings bereits innerhalb der modernen „westlichen“ Wissenschaft, z. B. in der Quantenphysik, widerlegt, die zu dem Schluss kam, dass das Bewusstsein die sichtbare, messbare Realität mitgestaltet. Faulstich beleuchtet in seinem Buch das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Es ist bekannt, dass auch Placebos, also Pseudomedizin ohne Wirkstoffe, dennoch wirken. In Fallstudien, die bei der Entwicklung von Medikamenten Usus ist, wie etwa in Doppelblindversuchen, zeigt sich das Phänomen immer wieder. Was macht die Wirkung eines Mittels aus, das nicht über die entsprechenden Wirkstoffe verfügt? Wieso wird ein neu entwickeltes Medikament nicht zugelassen, wenn bei Versuchen das „echte“ Medikament nicht deutlich besser abschneidet? Warum wird das Placebo-Mittel nicht als Heilmittel eingesetzt, obwohl es häufig die gleiche Trefferquote erzielt wie das getestete Medikament, – noch dazu ohne die Nebenwirkungen des echten? Ist es der Glaube des Patienten oder des Arztes, der sich günstig auf den Heilungsprozess auswirkt?
Faulstich beschreibt Fälle, in denen Menschen, die von der Schulmedizin aufgegeben wurden, durch Schamanen geheilt wurden unter Verwendung von Kräutern, Ritualen und Gesängen. Ein wichtiges Mittel des Schamanen ist die Traumreise, in der er Kontakt zur Seele des Patienten aufnimmt, die Krankheitsursache sieht und den Heilungsweg erkennt. Meist ist damit auch eine radikale Änderung der Lebenseinstellung, der Gewohnheiten oder auch von Ansichten des Patienten verbunden. Er selbst muß seinen Teil beitragen, um die Krankheit auf Dauer zu überwinden. Ändert er nichts an der geistig-seelischen Ursache der Krankheit, so ist sie, auch nach augenscheinlicher Heilung, bald wieder da.
Die Rolle des Bewusstseins, die im Schamanismus einen selbstverständlichen Platz einnimmt, erhielt Anfang dieses Jahrhunderts durch die neuesten Forschungsergebnisse der Neurowissenschaftler unerwartete Bestätigung. Eine Gruppe von Nervenzellen, die für die Bewertung, aber auch Hervorbringung und Steuerung bestimmter Handlungen und Gefühle im Körper zuständig sind zeigten die gleichen Schwingungen, auch wenn der Mensch diese Handlungen oder Gefühle bei anderen beobachtete. Es liefen also in diesen Neuronen die gleichen Prozesse ab, ob nun etwa die Versuchsperson selbst ein Glas Wasser trank oder dies bei einer anderen Person beobachtete. Diese Neuronen, die daher als Spiegelneuronen genannt wurden, zeigten dieses Spiegelphänomen aber nicht, wenn zum Beispiel ein Roboter, exakt die gleiche Handlung ausführte, das Beobachtungsobjekt war. Wesentlich scheint also die seelische Bewegung zu sein, nicht die bloße Übereinstimmung der äußeren Handlung.
Damit ist innerhalb der „exakten“ Wissenschaft ein Erklärungsmuster etwa für die Geistreisen in den Körper eines Kranken gegeben, die der Schamane unternimmt um den Geist, den Grund der Krankheit festzustellen. Auch das Gedankenlesen findet damit auch für die westliche Wissenschaft eine für sie nachvollziehbare Erklärung. Allerdings, die Schamanen und Heiler aller Traditionen, die seit Jahrtausenden auf ihre Weise heilen, kannten und erkannten diese Zusammenhänge auch ohne Neurowissenschaft. Diese ganzheitliche Sicht ist ja auch bei der Homöopathie, die in unseren Breitengraden zunehmend Freunde findet, grundlegend. Durch die Potenzierung der Wirkstoffe, die in den Hochpotenzen als Stoffe nicht mehr nachweisbar sind, ist die Wirkung nicht etwa geringer sondern greift sogar tiefer ein als die niedrigen Potenzen, die mehr auf der rein körperlichen Ebene wirken. Man kann sagen, der Wirkstoff hat sich in der Hochpotenz vergeistigt. So wirkt der Geist der Heilsubstanz auf den Geist/die Seele des Patienten ein und setzt dort die heilenden Prozesse in Gang.
Der breite Raum der psychosomatischen Erkrankungen, die ja auch nur mühsam ihre Anerkennung als „echte“ Krankheiten fanden, ist ohne Einbeziehung der Seele und des Bewusstseins nicht heilbar. Was in der Schulmedizin, in der Psychologie an Analyse, Psychodrama und vielen anderen Ansätzen angegangen und behandelt wird war den Schamanen als Seelenverlust bekannt: Teile der Persönlichkeit können sich durch Schock, traumatische Erfahrungen u. a. abspalten und entwickeln sich dann nicht mehr mit der Persönlichkeit weiter, sie bleiben in einem geistigen Bereich gefangen und finden allein nicht mehr den Weg zu „ihrer“ Persönlichkeit. Der Schamane, der Curandero, wie sie in Südamerika genannt werden, reist in diesen Geistbereich und holt den abgespaltenen Seelenteil zurück, integriert ihn wieder und hilft bei der Angleichung der in unterschiedlichen Zeitstadien befindlichen Teilen der Persönlichkeit wie-der zusammen zu wachsen.
Auch die in Europa geläufigeren Formen, etwa Pilgerreisen zu heiligen Stätten wie Lourdes, die Gebete um Gesundheit und Heilung, „funktionieren“ nach dem gleichen Prinzip: ein geistiges Muster, eine Vorstellung des gesunden Zustandes, der Glaube an eine göttliche Macht, die diesen Zustand wieder herstellen kann, – sie sind die Grundlagen, Ursachen, nach denen der physische Gesundungsprozess folgt, wenn der Mensch sich mit dem geistigen Bild identifiziert oder den Ausgang der Krankheit dem göttlichen Prinzip überlässt. Wunder – meist verstanden als Abweichung von der naturwissenschaftlichen Norm – zeigen nach dem von Faulstich aufgeführten Material, den vielfältigen Fallbeispielen, im Gegenteil, dass sie nicht außerhalb sondern innerhalb von Erklärungsmustern liegen.
Der Autor schildert lebendig und spannend persönliche Erlebnisse und Erfahrungen, die jenseits eines trockenen Wissenschaftsberichtes liegen. Seine Besuche bei Heilern im südamerikanischen Regenwald ließen ihn authentisch von „unglaublichen“ Heilungserfolgen berichten, die aber auf dem Hintergrund der Forschungsergebnisse nachvollziehbar werden. – Faulstich führt in seinem Buch keinen Kampf gegen die Schulmedizin sondern zeigt auf, dass das Feld der Erklärungsmuster erweitert werden muss und liegt damit innerhalb des Grundprinzips der traditionellen Naturwissenschaft: Hypothesen bleiben nur so lange in Geltung wie sie nicht widerlegt werden. Werden sie widerlegt muss man sich neuen Paradigmen öffnen.
Dazu gehört auch, die Medizin wieder als Heilkunst zu betrachten. „Was wir brauchen, ist keine weitere Entzauberung der Heilkunst, sondern die Rückkehr des Zauberhaften in die moderne Medizin.“
Faulstich, der nicht nur Autor sondern auch Regisseur wissenschaftlicher Fernsehdokumentationen ist, hat mit dem vorliegenden Buch einen wesentlichen Brückenschlag zwischen Schulmedizin und Alternativmedizin getan.
Joachim Faulstich, Das heilende Bewusstsein, Wunder und Hoffnung an den Grenzen der Medizin
300 Seiten, Knaur Verlag, München, Okt. 2006, 17,90€